Zentrum für Kultur // Geschichte
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Auf Einladung des Instituts für Sächsische Geschichte und Volkskunde kamen am 28. und 29. November 2013 zahlreiche Historiker aus Deutschland und der Tschechischen Republik, aber auch viele interessierte Gäste im ehemaligen Lesesaal des Hauptstaatsarchivs Dresden zusammen, um über Adelsfamilien zwischen Sachsen und Böhmen zu sprechen. Der Workhop wurde von Martin Arnold organisiert, einem Doktoranden von Prof. Dr. Martina Schattkowsky. Er schreibt derzeit an einer Dissertationsschrift, die den Titel „Standesgleich und landesfremd. Sächsischer Adel in Nordwestböhmen (16./17. Jh.)“ tragen soll und durch ein Immanuel-Kant-Stipendium des Bundesinstituts für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa (BKGE) gefördert wird. Arnold stellte auch das Programm des Wolkshops zusammen. Erfreulich war, wie viele tschechische Historiker und Kunsthistoriker die Einladung annahmen und in deutscher Sprache vortrugen und referierten. Obwohl die Veranstaltung als „Workshop“ ausgewiesen war, fand sie dennoch in einem größeren Rahmen statt, da sich über 70 Teilnehmer angemeldet hatten. Anwesend waren auch Mitglieder der Familien von Bünau, Einsiedel, Schönberg und Watzdorf; die Historische Kommission des Sächsischen Adels war gut vertreten. Zu bedauern ist, dass keine Angehörigen des böhmischen Adels an der Veranstaltung teilnahmen. Schön wäre es, wenn die Historische Kommission ein tschechisches Gegenüber hätte, mit dem sie sich austauschen könnte.

Petr Mat´a sprach in seinem Beitrag „Grenzbarone, Doppelvasallen, förderale Aristokratie. Der grenzüberschreitende Adel im frühmodernen Zentraleuropa“ über Adelsfamilien, die grenzüberschreitenden Besitz hatten und deshalb als „Doppelvasallen“ oder gar „Mehrfachvasallen“ unterschiedlichen Landesherren verpflichtet waren. Das „Grenzgängertum“ konnte ungewollt sein, wenn sich etwa Grenzen veränderten. Es konnte aber auch auf einer bewussten Besitzstrategie beruhen (Erzielung hoher Erträge, Erreichung bestimmter Rechte oder Rangstufen) oder politische oder konfessionelle Gründe haben. In Böhmen war seit dem 15. Jahrhundert geregelt, dass Landesfremde nur Besitz erwerben konnten, wenn sie keinem anderen Lehnsherrn mehr verpflichtet waren. Der Kauf war an das Inkolat verbunden, das die Stände auch verweigern konnten. Petr Mat´a, der in Wien lehrt, veröffentlicht 2004 das Buch „Svět české aristokracie (1500-1700)“ (Die Welt der böhmischen Aristokratie [1500-1700]). Leider liegt das inhaltsreiche Standardwerk nur in tschechischer Sprache vor. Eine deutsche Übersetzung wäre sehr zu wünschen.

In der Diskussion bezweifelte Dieter Wunder die Bedeutung der Grenzen, insbesondere dann, wenn die Gebiete dem gleichen Herrscherhaus unterstanden. Mat´a entgegnete, dass die Grenzen nicht zu unterschätzen seien, da an ihnen unterschiedliche gesetzliche Regelungen (etwa das Inkolat) aufeinandertrafen. Tomáš Knoz schlug vor, von verschiedenen „Grenztypen“ zu sprechen, da es sowohl Grenzen mit starken rechtlichen und kulturellen Unterschieden, aber auch Binnengrenzen innerhalb von Ländergruppen (Länder der Wenzelskrone, Habsburger) gegeben habe.

Der Beitrag von Tomáš Knoz aus Brünn (Brno) war mit „Die Integration des ‚landfremden Adels‘ in die mährische Adelslandschaft in der Frühen Neuzeit. Rechtliche Norm und symbolische Form“ überschrieben. Nach Mähren wanderten Familien aus Böhmen, Schlesien, Oberungarn und Österreich ein. Da Mähren ein Land ohne Herrscher war, fehlte der Hof als integrierendes Element. Eine hohe Bedeutung kam daher den Rechtsnormen und Symbolen zu, etwa der Amtssprache.

Uwe Tresp aus Potsdam gab unter der Überschrift „Auf der Suche nach Chancen, Sicherheit und Orientierung. Wege des Adels zwischen Meißen/Sachsen und Böhmen vom 14. bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts“ einen Überblick über seine jahrelange Forschungsarbeit zum böhmischen Adel. Er stellte fest, dass zwischen dem 13./14. und dem 16. Jahrhundert zahlreiche Familien des niederen Adels sowie mitteldeutsche Dynasten die Grenze nach Böhmen überschritten. Dabei arbeitete er drei Varianten heraus: die Lehnsauftragungen an die böhmische Krone, das Ausweichen vor dem Herrschaftsdruck der Wettiner und den zielstrebigen Besitzerwerb in Böhmen. Während die mitteldeutschen Dynasten aufgrund der rücksichtslosen Entschlossenheit der Wettiner ganz nach Böhmen orientiert waren, lässt sich beim niederen Adel eine Strategie der Doppelvasallität erkennen. Der Kontakt zu den Wettinern brach nie ab. So vollzog sich der Besitzerwerb der Familie von Schleinitz in Nordböhmen in Einvernehmen mit den Wettinern. Uwe Tresp betonte die Einseitigkeit der Grenzüberschreitung. Der Besitzwerb in der Gegenrichtung blieb eine große Ausnahme. Als Beispiele führte Tresp den Erwerb der Herrschaft Stollberg durch Matthias Schlick, die Herren von Tettau in Schwarzenberg und die Berka von Duba in Mühlberg an. Ein maßgebender Grund für die Einseitigkeit war, dass die böhmischen Adligen ihre Freiheiten und Rechte, die sie in Böhmen hatten, nicht aufgeben oder verlieren wollten. Sachsen sei wenig attraktiv gewesen, weil hier der Grundbesitz als Lehen vergeben wurde.

Martin Arnold sprach zum Thema „Niederer Adel ohne Nation? Identitäten ehemals sächsischer Adelsfamilien in Nordwestböhmen im 16. Jahrhundert“. Nach einer Diskussion der Frage „protonationaler Bindungen“ (Hobsbawm) arbeitete er am Beispiel der Familie von Bünau mehrere Phasen der Identitätsbildung heraus. In der ersten Phase (1. Generation) hätten sich die Bünaus noch zur sächsisch-böhmischen Adelsnation bekannt und in der zweiten Phase (2. Generation) zum böhmischen Adel geöffnet, ohne eine Ablösung von Sachsen zu vollziehen. In der dritten Phase (3./4. Generation) habe die lutherische Identität im Vordergrund gestanden. Die vierte Phase (5./6. Generation) sei durch die Ausweisung der Lutheraner nach der Schlacht am Weißen Berg bestimmt gewesen. Die Mehrheit habe eine Identität als böhmische Exulanten ausgebildet. Die Familienmitglieder, die zum katholischen Glauben konvertierten, seien Teil des habsburgtreuen Adels geworden. In der Diskussion meldete Dieter Wunder starke Zweifel an der Verwendung der Begriffe „Nation“ und „Identität“ an, da man bei „Nation“ immer an die inhaltliche Aufladung dieses Begriffs im 19. und 20. Jahrhundert denke. Auch die „Adelsnation“ sei ein schwieriger Begriff.

Am nächsten Tag beschäftigten sich drei Beiträge mit einzelnen Adelsfamilien und ihren Besitzstrategien. Lenka Bobková aus Prag, bekannt durch ihre Forschungen zur Geschichte der Nebenländer der böhmischen Krone, beschäftigte sich mit der „Familie von Salhausen in Nordböhmen im 16. und 17. Jahrhundert“. Auch sie verwendete ein Generationenmodell. Der Aufstieg in der ersten Generation begann mit Johann von Salhausen, der 1515 die Herrschaften Tetschen (Děčín) und Scharfenstein (Šarfenštejn) mit Bensen (Benešov nad Ploučnicí) und Böhmisch Kamnitz (Česká Kamenice) erwarb. Nach dem Verkauf von Tetschen konnten Schönpriesen (Krásné Březno) und Schwaden (Svádov) erworben werden. Symbole des Aufstiegs waren die Schloss- und Kirchenbauten, vor allem die drei Schlösser in Bensen. In Sprache und Konfession äußerte sich eine enge Bindung an Sachsen. Zugleich vollzog sich eine Annäherung an die böhmische Ständegesellschaft. Der Besitzverlust der folgenden Generationen mündete in die Beschlagnahmung des Vermögens nach der Schlacht am Weißen Berg. Die Schwadener Linie konvertierte zum katholischen Glauben und blieb in Böhmen.

Der Vortrag von Milan Svoboda aus Reichenberg (Liberec), überschrieben mit „Sichtbare und vergessene Spuren Sachsens in Nordböhmen. Politische, kulturelle und persönliche Beziehungen am Beispiel der Freiherren von Redern im 16. und 17. Jahrhundert“, konzentrierte sich auf die Herrschaft Friedland (Frýdlant), die von 1558 bis 1620 der Familie von Redern gehörte. Diese praktizierte unter dem Einfluss der sächsischen Reformation eine intensive lutherische Frömmigkeit. Nach außen getragen wurde das durch den Ausbau der Friedländer Burg, den Neubau des Schlosses in Reichenberg und die Ausstattung der Friedländer Stadtkirche mit aufwendigen Grabdenkmälern. 1620 wurde der Besitz aufgrund des Verhaltens Christophs II. von Redern im böhmischen Ständeaufstand konfisziert. Svododa wies darauf hin, dass zur Herrschaft Friedland mehrere Lehngüter gehörten, die an Angehörige des niederen Adels vergeben waren. Im 17. Jahrhundert wurde der lutherische Adel zur Emigeration und zum Verkauf der Lehngüter an die Grafen von Gallas gezwungen.
Der Verfasses dieses Berichts sprach über „Besitzstrategien der Adelsfamilien von Schönberg und Watzdorf in Sachsen und Böhmen“. Anhand von Karten und Diagrammen stellte er den Besitz beider Adelsfamilien vom 13. Jahrhundert bis zur Enteignung 1945 vor. Während die Familie von Schönberg bewusst in Kursachsen blieb und fast keinen Grundbesitz in nichtwettinischen Gebieten erwarb (Ausnahmen betrafen den französischen Zweig und Erwerbungen des 19. Jahrhunderts in Ungarn und Schlesien), lässt sich bei der Familie von Watzdorf eine Besitzverschiebung beobachten. Während die ältesten Besitzungen in einem herrschaftlich durchmischten Gebiet im südöstlichen Thüringen lagen, wanderte die Familie im 15. Jahrhundert teilweise in die Grafschaft Mansfeld und im 17./18. Jahrhundert in die Kerngebiete Kursachsens. Im 19. Jahrhundert griff sie nach Oberschlesien aus. Noch bis ins 18. Jahrhundert war die Doppel- und Mehfachvasallität üblich. Die Watzdorfs waren Vasallen der Vögte von Gera, später der Grafen Reuß jüngerer und älterer Linie, der Grafen von Schwarzburg, der Grafen von Mansfeld sowie der albertinischen und der ernestischen Linie des Hauses Wettin. Beide Familien des niederen Adels verweigerten sich einem Besitzerwerb in Böhmen, obwohl die Voraussetzungen dafür durchaus gegeben waren. Zwei Versuche scheiterten. Sie betrafen den Erwerb der Herrschaft Kupferberg (Měděnec) 1543 durch Vollrath von Watzdorf und die Herrschaft Teplitz (Teplice), die 1575 durch eine Ehe an Caspar von Schönberg aus der Linie Neusorge gelangte. Die hohen Schulden, die auf Teplitz lasteten, trieben die Familie in den Konkurs. In der Diskussion wurde deutlich, dass der aus Sachsen bekannte familiäre Zusammenhalt (Geschlechtsverbände, Geschlechtsordnungen, Belehnungen zur gesamten Hand), der auch für die von Watzdorf und Schönberg nachzuweisen ist, in Böhmen nicht üblich war. Das sächsische Lehnswesen, das Tresp als Nachteil gegenüber Böhmen bezeichnet hatte, wurde von den Familien als Element der Besitzbindung genutzt, um Güter ausschließlich an männliche Namensträger weiterzugeben.

Die letzten beiden Beiträge des Workshops stellten Beispiele des Kulturtransfers zwischen Sachsen und Böhmen vor. Petr Hlavaček aus Prag beschäftigte sich unter der Überschrift „Die Familie von Lobkowicz als Vermittler der kulturellen Wechselwirkungen im böhmisch-sächsischen Grenzraum um 1500“ mit dem Familienzweig Hassensteiner von Lobkowicz in Kaaden (Kadaň) und Umgebung. Besonders wies er auf den humanistischen Literaten Bohuslaus von Lobkowicz und die Kaadener Burg als Kunstzentrum unter Johannes von Lobkowicz hin. Ein einzigartiges Denkmal des Kulturtransfers ist das Franziskanerkloster in Kaaden mit sächsischen Zellengewölben und einer Ausmalung der Cranachschule. Hlavaček betonte, dass es um 1500 eine gemeinsame böhmisch-sächsische Kulturlandschaft mit dem Erzgebirge als Achse gegeben habe. Táňa Nejezchlebová aus Aussig (Ústí nad Labem) stellte ihren Beitrag unter die Überschrift „Die sächsische Renaissance in Böhmen. Zur Rolle des Adels als Träger von Kulturtransfer“. Sie ist an einem Projekt beteiligt, das sich der „sächsischen Renaissance“ in Böhmen widmet und das auf die Erarbeitung einer zweisprachigen Publikation und Ausstellung zielt. Nejezchlebová behandelte in ihrem Beitrag nur ein Beispiel, die Maria-Geburt-Kirche in Bensen, deren Bau und Ausstattung sie ausführlich analysierte. Dabei kam sie zum Ergebnis, dass der Grenzraum zwischen Sachsen und Böhmen einen organischen Raum darstellte, in dem sich die Künstler frei bewegen konnten. Da der Beitrag vor allem spätgotischen Architekturformen gewidmet war, ist zu fragen,was Nejezchlebová überhaupt unter „sächsischer Renaissance“ versteht. Diese Begriffsdiskussion ist sie schuldig geblieben.

Zu loben ist, dass der Workshop einen aktuellen Forschungsüberblick über Adel in Sachsen und Böhmen vom 15. bis zum 17. Jahrhundert gab. Besonders wichtig war, dass die Beiträge der tschechischen Kollegen die Tendenzen der tschechischen Forschung, die uns aufgrund der Sprachbarriere oftmals unbekannt bleiben, erkennbar gemacht haben. Dabei wurde deutlich, dass die Adelsforschung nach wie vor Konjunktur hat und bedeutsame Ergebnisse für die Landesgeschichte, aber auch für die „nationale“ Geschichte bringt. Spannend war die Frage nach dem Sprachgebrauch, die einen roten Faden der Beiträge und Diskussionen bildete. Die Sprache war ein Element der Integration, aber auch ein politisches Symbol, weil bestimmte Rechtsakte der böhmischen Stände in tschechischer Sprache vollzogen werden musste. Im Alltag bildeten sich viele abgestufte Mischformen heraus. Von diesem hohen Maß an Verständigung über die Sprach- und Kulturgrenzen hinweg, das damals den Alltag bestimmte, können wir nur lernen.

Dr. Matthias Donath
Zentrum für Kultur//Geschichte
Rittergut Jahna

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